Tra storia e mito

Thomas Raithel
Fußballweltmeisterschaft 1954
Sport – Geschichte – Mythos
München, Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2004
Scheda

Wichtig ist zunächst, dass es 1954 eben nicht nur um Deutschland ging, sondern auch um die Rolle der Schweiz, die als neutraler und wohlhabender Kleinstaat mitten im Kalten Krieg der wohl gegebene Gastgeber war – dass vier Jahre später mit Schweden ebenfalls ein neutrales, wohlhabendes, in seiner Identität ganz unangefochtenes Land als Gastgeber folgte, war vor diesem Hintergrund vielleicht kein Zufall. Weiter stand die Weltmeisterschaft 1954 für den sich anbahnenden, noch nicht aber wirklich vollzogenen Durchbruch zu medial aufgeladenen sportlichen Großereignissen. Dabei führte das Fernsehen freilich noch eine Randexistenz. Sodann erscheint es ungemein positiv, dass auch der deutsche Blick in jüngerer Zeit zunehmend auf die damalige ungarische Konstellation, die des Finalgegners vom 4. Juli in Bern, gerichtet ist. Ungarn war ein durch beide Weltkriege und deren Konsequenzen schwer traumatisiertes, dazu unter einer stalinistischen Diktatur im sowjetischen Satellitensystem buchstäblich leidendes Land. Seine Fußballnationalmannschaft, die unbestritten als die beste überhaupt galt, symbolisierte so Weltoffenheit und Kreativität in einer Weise, die den Menschen im grauen Alltag des Polizeistaates vorenthalten blieb. Dass dann auch die auf die elf besten Spieler des Landes gerichteten Wunschprojektionen nicht aufgingen, führte zu weiteren und tiefen Verstörungen.

Was schließlich die Bedeutung von 1954 für Deutschland anlangt, nimmt das Buch wichtige Differenzierungen vor: Es zeigt, dass die wesentlichen Orientierungen der Nachkriegszeit, Westintegration, soziale Marktwirtschaft, damit verbunden wirtschaftlicher Aufschwung und Prosperität, ferner allmählicher Übergang von einer formalen zu einer auch innerlich angenommenen und gelebten Demokratie und dazu nach weiteren Verzögerungen auch die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, alle so oder ähnlich auch ohne das dritte Tor von Helmut Rahn im Berner Wankdorfstadion zustande gekommen wären. Insofern erscheint die These von der heimlichen Staatsgründung der Bundesrepublik auf Schweizer Boden überzogen, ja in eine falsche Richtung weisend.